Timo Bracht - Der dritte Mann

Veröffentlicht auf von Michael Eder

Das "Viktoria" im Zentrum von Eberbach, einen Steinwurf entfernt vom Neckar, ist ein wunderbar traditionelles Kaffeehaus, und natürlich wird Timo Bracht hier persönlich begrüßt. Jeder in Eberbach kennt den Triathlonprofi, und wer will, kann sich im "Viktoria" aus der Auslage ein Stück Timo-Bracht-Torte auf den Teller heben lassen, und wenn er wieder am Tisch sitzt und auf die Straße blickt, dann kann es sein, dass der Linienbus durchrollt, der großflächige Timo-Bracht-Aufkleber spazieren fährt.

 

    In der kleinen Welt von Eberbach ist Timo Bracht ein Star, doch draußen in der großen weiten Triathlon-Welt kämpft er seit Jahren vergebens um die verdiente Aufmerksamkeit. Sein Pech bislang: Seitdem er 2004 seinen Beruf als Sportlehrer an einem Reha-Zentrum aufgab und Triathlonprofi wurde, geben zwei deutsche Platzhirsche den Ton an: Faris Al-Sultan und Normann Stadler. Stadler gewann das Rennen auf Hawaii 2004 und 2006, Al-Sultan 2005. "Als ich 2004 Achter auf Hawaii wurde", sagt Bracht, "wurde das in den Medien nicht einmal erwähnt."

 

    Gegen die Siegertypen Al-Sultan und Stadler hatte er damals keine Chance, er war nur der dritte Mann, fast unsichtbar, doch das hat sich geändert, zumindest sportlich. Während die beiden deutschen Ironman-Stars seit Hawaii 2006 kein vorzeigbares Ergebnis bei einem internationalen Toprennen mehr ablieferten, steigerte sich Bracht in aller Stille. Höhepunkt war 2007 sein Sieg bei der Europameisterschaft in Frankfurt, dem nach Hawaii wichtigsten Ironman-Wettkampf der Welt. Und auch in diesem Jahr konnte er in Frankfurt überzeugen. Als Dritter hinter dem australischen Ausnahmeathleten Chris McCormack und dem Spanier Eneko Llanos verbesserte er seine persönliche Bestzeit gegenüber 2007 um fünf Minuten auf fabelhafte 8:04:16 Stunden. Dabei gelang ihm mit 2:42:33 Stunden eine der besten jemals in einem Triathlon erzielten Marathonzeiten - womit er sogar schneller war als McCormack, der eigentliche Vorläufer der Szene. Und weil bei jedem Triathlon, ob kurz oder lang, die Entscheidung gewöhnlich auf der Laufstrecke fällt - erfolgreiche Radfluchten sind kaum noch zu sehen -, hat sich Bracht mit seiner Vorstellung in Frankfurt viel Respekt erarbeitet. Mit dem dritten Mann, so die allgemeine Einschätzung, ist künftig bei jedem Ironman zu rechnen, auch auf Hawaii, einem Rennen, mit dem Bracht bislang so seine Schwierigkeiten hatte.

 

    Um das zu ändern, arbeitet er seit Jahresbeginn mit Ralf Ebli zusammen. Der ehemalige Triathlon-Bundestrainer hat Bracht mehr Gelassenheit verordnet, hat ihn nach den Frankfurter Strapazen erst einmal zwei Wochen mitsamt der Familie in Urlaub geschickt - abschalten, hieß die Devise, den Druck herausnehmen, um danach die Form wieder neu aufzubauen. "Früher", sagt Bracht, "habe ich mich manchmal an die Wand trainiert, musste einen ganzen Tag durchschlafen, um mich zu erholen." Nun setzt er auf feineres Tarieren zwischen Belastung und Erholung, auch auf mehr Krafttraining und Gymnastik. Mit Erfolg: "Ich bin in allen drei Disziplinen schneller geworden." Bracht kommt von der Nordischen Kombination, er hat seine sportliche Ausbildung in der Jugend auf den Langlaufski und der Sprungschanze bekommen - sein Bruder hat es bis zum Junioren-Weltmeister gebracht und ist derzeit Bundestrainer der Kombinierer -, aber dann hat er die Kurve in den Sommer gekriegt. Seit knapp zwei Jahren ist der 33 Jahre alte Sportwissenschaftler, verheiratet und Vater von zwei Kindern, nun also der erfolgreichste deutsche Langstreckentriathlet, und am kommenden Samstag steht wieder der Saisonhöhepunkt an: die Ironman-WM auf Hawaii. "Ich weiß, wie man jedes Rennen auf der Welt gewinnen kann", sagt Bracht, "nur für Hawaii habe ich den Schlüssel noch nicht gefunden." Damit ist er in bester Gesellschaft, selbst Topstar McCormack hatte fünf Anläufe gebraucht, um im vergangenen Jahr erstmals auf Big Island zu triumphieren.

 

    Wo liegt der Schlüssel? Bracht hat sich vorgenommen, das Rennen am Samstag nicht nur ausgeruhter, sondern auch entspannter anzugehen, mit weniger selbsterzeugtem Druck. Und er hat kritische Szenarien durchgespielt, den möglichen Rennverlauf analysiert. Er hat sich bewusstgemacht, dass auf Hawaii Jahr für Jahr mehr starke Schwimmer auf die 3,8 Kilometer lange Strecke im Pazifik gehen, Athleten, die von der Kurzstrecke kommen, und dass sie auch auf der Radstrecke versuchen, mit letztem Einsatz so lange wie möglich vorn zu bleiben. Zwar sind sie für Bracht, der nicht zu den allerbesten Schwimmern zählt, in der Endabrechnung keine ernsthaften Konkurrenten, und doch muss er sich psychologisch darauf einstellen, womöglich auch nach einem Drittel der 180 Kilometer langen Radstrecke noch auf Position 40 oder dahinter zu liegen. Damit muss er umgehen können, muss sich taktisch darauf einlassen, muss die Kräfte genau einteilen, darf nicht hektisch werden. Und darf auch nicht allzu viel über ein Thema nachdenken, das in einem extremen Ausdauersport wie Triathlon immer mitschwingt: Doping - und damit verbunden: Chancengleichheit. Bracht geht mit dem Thema offen um, lobt die umfassenden Kontrollen in Deutschland ("Hier sind die Schwerter für alle gleich lang"), wundert sich aber auch öffentlich über die Praktiken zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, wo Doping-Kontrollen bei Ironman-Wettkämpfen mancherorts völlig unbekannt sind. Bracht ist im Übrigen mit einem Hämatokritwert von rund 40 unterwegs, für einen Ausdauersportler ein geradezu spektakulär niedriger Wert - die Grenze, bei der ein Verdacht auf Epo- oder Eigenblutdoping naheliegt, beträgt 50. Bracht hat viel nachgedacht über die psychologische Tiefe des Wettkampfs auf Hawaii. Ob sich darin der Schlüssel verbirgt, in der Psyche? "Man muss in jeder Phase des Rennens Selbstbewusstsein zeigen", sagt er. Das ist nicht einfach, denn vieles auf Hawaii wirkt einschüchternd und verstörend: die Hitze, der Wind, die Lavawüste, die ganze eigenartige Atmosphäre zwischen Aloha-Spirit und Sheriff-Gehabe. Das führt manchmal zu einem seltsamen Gefühl der Ergebenheit, man fühlt sich nicht mehr als Herr des Geschehens. "In Frankfurt", hat Bracht festgestellt, "fühlst du dich im Rennen aufgehoben inmitten der Hochhäuser, der vielen Zuschauer, der vertrauten Umgebung." All das gibt es auf Big Island nicht, und damit muss fertigwerden, wer dieses elementare Rennen einmal gewinnen will.

 

    Bracht ist bemüht, nichts dem Zufall zu überlassen. Er tüftelt auch an Kleinigkeiten. Früher tränkte er verschiedene Sockentypen mit Wasser, wog sie und lief mit den leichtesten, jetzt geht er mit neuartigen Kompressionsstrümpfen ins Rennen, die bis hinauf zum Oberschenkel reichen, sie sollen die Durchblutung fördern und wasserbenetzt für mehr Kühlung sorgen. Außerdem wird er am Samstag mit einem GPS-Gerät seines Sponsors Garmin unterwegs sein, wird mit Satellitenunterstützung immer wissen, wo er ist, wie schnell er ist, wie weit er noch zu radeln und zu laufen hat.

 

    Sein Ziel auf Big Island? Ein Platz unter den Top Ten soll es mindestens werden, bei idealem Rennverlauf einer unter den ersten drei. Der Traum, natürlich, ist ein Sieg beim größten aller Rennen. "Der Hebel auf Hawaii", sagt er, "ist sehr viel größer als bei jedem anderen Rennen" - der Hebel, der aus einem erfolgreichen Triathleten einen internationalen Star macht. Mit einem Sieg wäre Bracht heraus aus Al-Sultans und Stadlers Schatten, mit einem Sieg wäre er einer der Großen.

 

September 2008

Veröffentlicht in Portraits

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