Lance Armstrong - Der Despot als Wohltäter

Veröffentlicht auf von Michael Eder

Wer ist Lance Armstrong? Es gibt eine Reihe von Geschichten, die den Amerikaner, Rekordgewinner der Tour de France, charakterisieren, und die eindrücklichste trug sich im Sommer 2004 auf einer verschlafenen Landstraße im französischen Jura zu. Auf der neunten Etappe der Tour de France rollten die Fahrer in Richtung Lons-le-Saunier, und der Italiener Filippo Simeoni war auf dem harmlosen Flachstück dem Hauptfeld enteilt, doch Armstrong, der unantastbar Führende, tat, was ein Mann im Gelben Trikot in dieser Situation niemals tut: Er setzte nach, stellte den Italiener, fuhr mit ihm zur Spitzengruppe und herrschte dort die sechs Fahrer an, den Italiener als unerwünschte Person zu betrachten - ansonsten würde er sein Team anweisen, das Feld an die Fluchtgruppe heranzufahren, die Chance auf einen Etappensieg wäre damit für die sechs dahin. Dem gedemütigten Simeoni blieb nichts übrig, als sich ins Hauptfeld zurückfallen zu lassen. Die Aktion war die Rache des Amerikaners an Simeoni, der es gewagt hatte, in einem Doping-Prozess gegen Armstrongs Leibarzt Michele Ferrari auszusagen. Es war eine öffentlich zelebrierte Bestrafung.

 

    Armstrong, der Despot, walzt nieder, was sich ihm in den Weg stellt, pflegt offene Rechnungen schmerzhaft zu begleichen. Er bekämpft seine Feinde oder jene, die er dafür hält, mit kühler Wucht, und mit derselben Leidenschaft kämpft er für Freunde und Vasallen. Dafür hat er sich im Lauf der Jahre ein Netzwerk aufgebaut, das - genau wie seine Zukunftsplanung - über den Sport hinausweist. Armstrong, dessen Jahreseinkommen das Forbes-Magazin 2005 auf 28 Millionen Dollar schätzte, unterhält eine ganze Armada erstklassiger Juristen, mit deren Hilfe es ihm sogar gelang, die Versicherungsgesellschaft, die ihm wegen Doping-Verdachts eine Zahlung von fünf Millionen Dollar verweigern wollte, in die Knie zu zwingen. Die finanzielle und anwaltliche Macht, mit der er hantiert, steckt, so vermuten Insider, auch hinter der Gerichtsorgie, mit der sein langjähriger Edelhelfer und Freund Floyd Landis versuchte, sich von Doping-Vorwürfen reinzuwaschen, vergebens in diesem Fall.

 

    Armstrong ist ein Meister des Angriffs, und er ist auch ein Meister der Selbstverteidigung. Allen erdrückenden Indizien zum Trotz, die ihn in Verbindung mit Doping bringen, hat er es seit seinem Rücktritt 2005 geschafft, sich in den Vereinigten Staaten als klinisch sauberer Sportsmann darzustellen, als Zielscheibe einer europäischen Kampagne und französischer Ressentiments. Dabei ist die Liste von ehemaligen Armstrong-Helfern, die des Dopings überführt wurden, lang und eindeutig: Floyd Landis, Tyler Hamilton, Roberto Heras, Manuel Beltran - nur der Chef kam ungeschoren davon, knapp, sehr knapp, denn 2005 berichtete die Zeitung "L'Équipe", dass in sechs Urinproben Armstrongs, die 1999 eingefroren worden waren, nachträglich Spuren des Doping-Mittels EPO nachgewiesen worden seien. Weil es jedoch keine A-, sondern nur noch B-Proben gab, blieb dies ohne juristische und verbandsrechtliche Folgen. Armstrong hat stets bestritten, gedopt zu haben. Sein stärkstes Argument basiert dabei auf seiner Leidensgeschichte. Er, der in einem beispiellosen Kampf den Krebs besiegte, würde seinem Körper niemals Drogen oder Doping-Substanzen zumuten. Die Amerikaner glauben ihm das. Und sie lieben diese Mischung aus Arroganz und Pathos, mit der er Sätze formuliert wie: "Wenn ich krank bin, will ich nicht sterben. Wenn ich Rennen fahre, will ich nicht verlieren. Sterben und Verlieren ist das Gleiche." Verlieren ist keine Option - das ist Armstrongs Botschaft. Nicht im Kampf gegen Krebs und schon gar nicht im Sport.

 

    Armstrongs Comeback auf der große Radsport-Bühne ist eine Marketing-Kampagne mit vielen Facetten. Sie dient, moralisch lupenrein, seiner vorbildlichen Anti-Krebs-Stiftung, für die er im Lauf der Jahre mehr als 250 Millionen Dollar zusammengetragen hat, und sie dient, nicht ganz uneigennützig, dem eigenen Image als unbeugsamem Vorzeige-Amerikaner, der es im Alleingang mit den ewig nörgelnden und nervenden Europäern aufnimmt. Der einsame Rächer, das ist eine sehr amerikanische Geschichte, zieht noch einmal aus, um mit dann 37 Jahren die Gegner auf deren Terrain zu besiegen. Rambo läßt grüßen, und Armstrong hat bereits ein Filmteam verpflichtet, das die ganze Geschichte aufzeichnen wird, von A bis Z, vom Trainingsalltag über die Doping-Kontrollen bis hin zum Start bei der Tour.

 

    Seine Rückkehr - da mögen die Tour-Chefs erzählen, was sie wollen - ist ein Fiasko für den von Doping-Skandalen ausgezehrten Radsport - und ein Desaster für die Tour de France und die französische Seele. Falls Armstrong im kommenden Jahr wirklich starten sollte, würde die Rundfahrt, würde ganz Frankreich in seinem Schatten stehen, die Uhr würde zurückgedreht, der vielbeschworene Neuanfang wäre dahin. Und käme es wirklich dazu, dass er als unbeugsamer amerikanischer Kämpfer zum achten Mal das größte aller Radrennen gewinnt - so wäre das ein Triumph Armstrong'scher Dimension, und die Franzosen hätten einen Sieger, von dem sie hofften, ihn nie wieder zu sehen. "Er ist amerikanisch, schlimmer noch: Er ist Texaner, nahe am Bush-Clan, er hat die Arroganz der Sieger, er hat Eis im Blick", so hatte ihn "Le Monde" nach seinem letzten Sieg verabschiedet. Und nun steht er wieder vor der Tür.

 

    Armstrong ist ein perfekter Stratege, schon als Rennfahrer hatte er nichts dem Zufall überlassen. Und so nutzte er die Zeit seit 2005, dem Jahr seines Rücktritts, um in den Vereinigten Staaten systematisch an seinem Image zu feilen. Er war Dauergast in Talkshows, Anti-Krebs-Kämpfer mit Auftritten zur besten Sendezeit in CNN, Werbeläufer in eigener Sache beim New-York- und Boston-Marathon, Werbefigur für uramerikanische Firmen wie Nike und Oakley. Er verkehrte mit wechselnden Frauen in Künstlerkreisen, war mit der Sängerin Sheryl Crow auf dem Boulevard präsent, und er knüpfte ein tragfähiges Netz in der Politik. Er radelte mit Präsident Bush, seinem Landsmann aus Texas, er spannte John McCain, den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, für seine Stiftung ein, er beriet sich mit dem New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg, und mittlerweile bewegt er sich auf dem politischen Parkett so sicher, dass er nach seinem angekündigten Tour-Comeback wie selbstverständlich erklärte, er werde das Gespräch mit dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy suchen, falls die Tour-Leitung ihm einen Start verweigere. Seine nächste Pressekonferenz wird Armstrong am 24. September auf Bill Clintons "Global Summit" in New York halten, auch dieser Termin ist fein gewählt - eine große Plattform und genau während der Rad-WM in Varese/Italien - man kann sich vorstellen, wem die Schlagzeilen gehören. Und für den Sommer 2009 plant er - in Paris - einen internationalen Anti-Krebs-Gipfel, Bill Clinton soll dabei sein, Staatschefs aus aller Welt - und, nach dem erhofften Sieg über Barack Obama, auch McCain als neuer amerikanischer Präsident.

 

    Für welches Team Armstrong im nächsten Jahr fahren wird, ob für Astana, wo sein Vertrauter Johan Bruyneel als Sportchef auf ihn wartet, oder für Columbia, das spielt keine Rolle. Sicher ist, er wird ein Team suchen und finden, das die Klasse hat, mit ihm um die Spitze zu fahren. Und nicht nur der deutsche Radprofi a. D. Jörg Jaksche ist sich sicher: "Wenn er tatsächlich zurückkommt, gewinnt er auch." Armstrongs Vorbereitung hat längst begonnen, sein Team steht: Triathlonprofi Peter Park, sein langjähriger Coach Chris Carmichael und Johan Bruyneel arbeiten an den Übungsplänen, trainiert wird in Austin/Texas, Armstrongs Heimatort, und in der Höhe von Aspen/Colorado, der Meister pflegt mit einem Privatjet hin und her zu fliegen.

 

    Dass Armstrong angekündigt hat, ohne Salär und nur für den Anti-Krebs-Kampf zu fahren, ist nicht überraschend. Dem Amerikaner geht es längst nicht mehr um Geld, davon hat er genug, es geht ihm um seine Stiftung, und es geht ihm um sich selbst.

 

    Armstrong hat sich auf den Weg gemacht, 2009 eine weltweit beachtete Anti-Krebs-Kampagne zu starten und dazu eine amerikanische Helden-Saga zu schreiben, und beides ist für ihn nur eine Etappe: Sein nächstes Ziel hat er für 2014 avisiert. Dann will er - und daraus macht er kein Geheimnis - Gouverneur von Texas werden.

 

September 2008

Veröffentlicht in Portraits

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