Jan Gustafsson - Schach-Großmeister und Pokerprofi

Veröffentlicht auf von Michael Eder

 Foto chesstigers.de

Jan Gustafssons Denkfabrik ist nicht sehr groß, nur ein paar Quadratmeter. Das Arbeitszimmer in seiner Eppendorfer Wohnung ist zugleich sein Wohnzimmer. Ein weißes Ledersofa steht darin, ein Bücherregal, vollgestopft mit Romanen, Schach- und Pokerliteratur. Fernseher, Stereoanlage, Lautsprecher, DVD-Hüllen. Ein Stuhl, ein Schreibtisch, darauf zwei Aschenbecher, zwei Schachteln Gauloises - und Gustafssons Trainingsgeräte: zwei Bildschirme, die ihn per Internet mit der Schach- und Pokerwelt verbinden und ihm Zugriff auf eine Datenbank mit mehreren Millionen Schachpartien bieten. Jan Gustafsson ist Schachprofi, 29 Jahre alt, Großmeister und Mitglied der deutschen Nationalmannschaft, die in der kommenden Woche bei der Schach-Olympiade in Dresden antritt. Sein Jurastudium wartet auf Fortsetzung, wohl vergebens.

 

Warum wird ein Hamburger Jung nicht Fußballer beim HSV,
wie sich das gehört, sondern Schachprofi?

 

"Das hat sich so ergeben. Mein Vater hat mir das Schachspielen beigebracht, als ich zehn war. Ein Jahr später sind wir aus Spanien nach Hamburg zurückgekommen, ich bin in den Schachklub und hatte relativ schnell Erfolg. Ich habe in der zehnten Mannschaft angefangen und mich bis zur ersten vorgearbeitet. Ich war deutscher Jugendmeister und kam in die Förderprogramme des Deutschen Schach-Bundes. So ging es immer weiter."

 

Sie haben Teile Ihrer Kindheit in Spanien verbracht?

 

Ja, wir sind auf dem Mittelmeer rumgesegelt. Mein Vater war ein sehr guter Segler. Als ich sechs war, ist die ganze Familie losgezogen, und wir sind ein paar Jahre auf einem Elf-Meter-Schiff durchs Mittelmeer gesegelt, Spanien, Frankreich, Türkei, Italien, Griechenland, dann war ich noch zwei Jahre auf einer spanischen Schule, und als ich elf war, sind wir nach Hamburg zurückgekommen.

 

Wann haben Sie gemerkt,
dass Sie das Zeug zum Großmeister haben?

 

Ich habe nie geplant, Großmeister zu werden oder Schachprofi, aber wenn man faul ist und irgendwann merkt, da kannst du sogar ein bisschen Geld damit verdienen, dann ist das ganz verlockend. Es ist ein angenehmer Lebensstil, man kann ausschlafen, reisen.

 

 

 

Sie würden keine Verantwortung für das übernehmen,
was Sie vor 12 Uhr von sich gäben, sagen Sie.
Hört sich nach extremem Morgenmuffel an.

 

"Vor zwölf bin ich selten wach. Das ist sehr verbreitet unter Schachspielern, das sind fast alle Nachtmenschen. Wenn man keinen Grund hat, morgens früh aufzustehen, und keinen Grund, abends früh ins Bett zu gehen, dann verschiebt sich alles in den Morgen. Das ist nichts, worauf ich stolz bin, aber es ist halt so."

 

 

 

Sie seien ein hervorragender Internet-Schachspieler,
heißt es. Was hat es damit auf sich?

 

"Man kann als Schachspieler viel Zeit im Internet verbringen, man kann in dieser Welt leben, kann spielen, chatten, analysieren, Informationen sammeln. Das kann zur Sucht werden. Ich bin allerdings davon abgekommen, ständig im Internet zu spielen, das bringt einen schachlich nicht weiter. Ich zeige Ihnen mal, wie das geht."

 

 

 

Gustafsson wählt sich im Internet in einen Schach-Server ein, klickt ein paarmal und hat irgendwo auf der Welt einen Gegner gefunden. Spielzeit eine Minute. Nicht pro Zug, sondern für die ganze Partie. Das virtuelle Schachbrett erscheint auf dem linken Schirm, Gustafsson zieht die erste Figur mit der Maus nach vorn, wie von Zauberhand zieht der Gegner. Ein Zug jagt den nächsten, und als noch zwölf Sekunden auf der Uhr stehen, sagt Gustafsson: Jetzt hat er sich ein bisschen verrannt, und zwei Blitzzüge später gibt der Gegner auf. Ein schneller Sieg.

 

Hat Schach durch die Technisierung sein Flair,
seinen Zauber verloren?

 

"Den Eindruck kann man haben, die Eröffnungsvorbereitung ist durch den Computer deutlich tiefer geworden, und man ist nicht mehr ganz so viel gezwungen, selbst nachzudenken, aber das Buchhalterische ist nur ein Teil des Ganzen. Sich exakt so vorzubereiten, dass der Gegner keine Chance hat, dass klappt fast nie, deshalb bist du am Brett nach wie vor auf Inspiration und Kreativität angewiesen."

 

Spielen Sie eigentlich auch gegen Ihren Computer?

 

"Ganz selten, weil es keinen Spaß macht. Weil man unter realistischen Turnierbedingungen so gut wie immer verliert. Ich benutze den Computer eigentlich nur, um zu überprüfen, was ich da so vor mich hin denke.

 

Sie gelten als hochtalentiert, aber auch als wenig diszipliniert.
Sind Sie mit weniger zufrieden, als Sie leisten könnten?

 

Es fällt mir schwer, mich zu zwingen, mich jeden Tag sechs oder acht Stunden hinzusetzen und mich mit Schach zu beschäftigen. Mangelnde Disziplin? Mit Sicherheit, aber man ist als Schachprofi halt sein eigener Boss, man kann sich alles selbst einteilen. Ich arbeite nicht so hart, wie ich müsste, um noch weiter zu kommen. Es geht vielen Schachprofis so, die es nicht ganz nach oben schaffen; sie arbeiten so viel, dass sie ihr Niveau halten und davon ganz gut leben können. In der Vorbereitung auf die Schacholympiade habe ich aber durchaus hart gearbeitet.

 

Wie sieht eine normaler Trainingstag aus?

 

"Ich treffe mich oft abends mit befreundeten Spielern. Oder ich sitze daheim vor dem Computer, Fernseher an oder Musik, und arbeite vor mich hin. Es geht darum, Varianten zu analysieren, Probleme zu lösen. Ich lasse das Schachprogramm nebenherlaufen, gebe bei einem Problem den Weg vor und spiele den Operator. Da ist viel Buchhalterarbeit dabei, Datenbankarbeit.

 

Wie prägen Sie sich die Ergebnisse von Analysen ein?

 

Früher hatte ich automatisch alles im Kopf. Jetzt, wo das Gedächtnis nicht mehr ganz so gut ist wie mit Anfang 20 habe ich eine eigene private Datenbank mit meinen Analysen und Eröffnungen, und ich versuche, mir morgens vor einer Partie ganz konkret so viel wie möglich in den Kopf zu hauen. Es ist nicht mehr so, dass ich alles, was ich angeschaut habe oder einmal wusste, immer parat hätte."

 

Muss man intelligent sein,
um ein guter Schachspieler zu werden?

 

"Absolut nicht. Man kann sich vieles antrainieren - wie in jeder anderen Sportart auch."

 

Im vergangenen Jahr ist Gustafsson beim erstklassig besetzten Dortmunder Turnier noch vor dem Russen Kramnik Zweiter geworden, bei der Europameisterschaft belegte er Platz neun. Auch auf diesem Niveau kann man mit Schach nicht reich werden, es lässt sich aber an vielen Ecken und Enden einiges verdienen. Gustafsson spielt in der Bundesliga für seinen Stammverein, den Hamburger SK, und tingelt durch andere europäische Ligen: Österreich, Spanien, Holland, Frankreich, Schweiz, Griechenland - überall saß er in Spitzenteams bereits am Brett, das ist sein finanzielles Standbein, hinzu kommen Preisgelder bei offenen Turnieren. Die Hälfte der Zeit ist Gustafsson auf Reisen, in Trainingslagern, bei Lehrgängen, auf Turnieren zwischen Sibirien und Curaçao. Außerdem hat er ein Lehrbuch geschrieben - für Pokern, nicht für Schach.

 

Wie kam es dazu,
dass Sie auf professionellem Niveau pokern?

 

"Es gibt viele Schachprofis, die das tun. Die goldenen Jahre sind zwar vorbei, aber am Anfang ließ sich mit relativ wenig Aufwand relativ viel Geld verdienen. Im Pokern ist mehr Geld zu holen als im Schach. Leider bin ich darin nie so gut geworden, dass ich richtig viel gewonnen hätte, aber es war dennoch deutlich mehr als im Schach. Ich pokere derzeit nicht mehr, weil ich mich gezielt auf die Schach-Olympiade vorbereite."

 

Ist ein guter Schachspieler durch seine kombinatorischen Fähigkeiten
automatisch auch ein guter Pokerspieler?

 

"Im logischen Denken geschult zu sein schadet sicher nicht, aber Pokern hat auch viele andere Facetten. Es ist wesentlich ungerechter als Schach, weil ein guter Spieler durch den Glücksfaktor der Karten nicht immer sofort belohnt wird. Außerdem muss man lernen, auch mit Geldverlusten umzugehen. Im Schach kann man ja Geld gewinnen, aber nicht verlieren. Schach ist ein Spiel mit kompletter Information, für beide Seiten ist jederzeit alles sichtbar, beim Pokern muss man sich aus mehreren Faktoren zusammenreimen, was der Gegner haben könnte, das sind unterschiedliche Denkstrukturen."

 

Sie pokern im Internet ohne sichtbare Konkurrenten.
Muss man den Gegner nicht sehen, um ihn einschätzen
und seine eigenen Chancen verbessern zu können?

 

"Das ist durchaus ein Faktor, aber kein entscheidender mehr. Poker ist tiefer analysiert worden durch den Boom. Es geht jetzt mehr über die Mathe-Schiene. Die Spieltechnik ist verfeinert worden, und da ist die alte Generation, die den Gegner anguckt und an der Nasenspitze erkennen will, ob einer blufft oder nicht, ins Hintertreffen geraten. Dem modernen Spieler geht es darum, die Zahlen richtig einzuschätzen. Bluffen ist nicht mehr so relevant."

 

Wie sieht Ihre Kurzanalyse des WM-Kampfes
zwischen Anand und Kramnik aus?

 

"Anand hat seine Vorbereitung durchgesetzt und hat komplizierte Stellungen herbeigeführt, die er einfach besser spielt als Kramnik, er hat ihn ausvorbereitet und ihn besser eingeschätzt. Kramnik hat zu oft auf dem Terrain des Gegners gespielt, deshalb hat er verloren."

 

Sie werden mit dem Satz zitiert, Anand habe im übertragenen Sinne
den Mercedes-Fahrer Kramnik aufs Motorrad gesetzt und in
unwegsames Gelände gelockt. Wo fühlen Sie sich wohler,
im Mercedes oder auf dem Motorrad?

 

"Ich habe keinen Führerschein, aber vom Spielstil her neige ich eher zur Feigheit, das ist ein negatives Wort, sagen wir: zur Vorsicht. Im Schach gibt es ja die Möglichkeit des Remis. Es gibt zwei Typen von Schachspielern, es gibt die, die gern gewinnen, und die, die nicht gern verlieren. Es gibt spekulative Spieler, die versuchen, das Gleichgewicht zu stören. Ich gehöre zu den anderen, den Korrekten, den Risikovermeidern. Ich gehöre - wie Kramnik - zum Lager derer, die nicht gern verlieren. So gesehen zähle ich eher zu den bequemen Mercedes-Fahrern. Mir machen Niederlagen immer sehr zu schaffen, vielleicht bin ich deshalb auch übervorsichtig. Ich fand schon immer Verlieren viel schlimmer als Nicht-Gewinnen."

 

Die ewige Frage: Ist Schach nun ein Sport oder nicht?

 

"Ich habe Schach nie als Wissenschaft oder Kunst gesehen. Für mich ist es ein Sport. Ich nehme bei einer Partie manchmal zwei Kilo ab. Es ist ein Wettkampf und hat ein Ligensystem. Man kann natürlich darüber streiten, wie relevant das Bewegungselement für die Definition von Sport ist. Wenn ich mir allerdings die Schützen anschaue, ob da das Abdrücken das große Bewegungselement ist, das weiß ich auch nicht."

 

Welches war Ihre schönste Partie?

 

"Ich habe im Schach nicht so den Zugang zu Schönheit. Ich freue mich über jeden Sieg, und wenn ich gewonnen habe, bin ich zufrieden. Mir ist es eigentlich egal, ob das ästhetisch war oder nicht, ob das ein Fallrückzieher war oder ein Abstauber, das ist mir wurscht. Ich berausche mich nicht an schönen Kombinationen. Vielleicht ist das ein Fehler. Vielleicht müsste man das Spiel mehr lieben, um noch mehr Zugang zu ihm zu finden."


November 2008 

 

Veröffentlicht in Portraits

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