Travis Pastrana - König der Motorradfreaks

Veröffentlicht auf von Michael Eder

   Mit 75 Metern hält der australische Motorradfahrer Robbie Maddison den Weltrekord im Weitsprung mit einer 250-Kubikzentimeter-Maschine. Jetzt hat es ihn erwischt. Er liegt im Park des Slane Castle, keine fünfzig Meter entfernt von den Türmen des berühmten irischen Schlosses, und seine Freundin, die herbeigeeilt ist, schlägt die Hände vors Gesicht, Offener Beinbruch. Maddison war im Training nach einem Sprung über die acht Meter hohe Quarterpipe bei der Landung gestürzt. Hatte nicht schlimm ausgesehen, doch die Ärzte und Sanitäter brauchten eine halbe Stunde, um ihn für den Transport ins Krankenhaus vorzubereiten. Das Finale der Red-Bull-X-Fighters-Serie in der Nähe von Dublin musste ohne Maddison stattfinden; der Australier, einer der Stars der Freestyle-Motocross-Szene, wird eine lange Pause einlegen müssen.

   Die Konkurrenz ging schnell zur Tagesordnung über. Verletzungen gehören zum Geschäft, über so etwas wie Prellungen oder Schürfwunden spricht man im Freestyle-Motocross (FMX) nicht. Sie sind eine Selbstverständlichkeit. Maddison gilt als einer der härtesten, der furchtlosesten Fahrer, als seinen bisher spektakulärsten Sprung nennt er den Vorwartssalto mit seinem Auto beim Versuch, mit ihm über eine Motocross-Rampe zu fahren.

   Gegen den Amerikaner Travis Pastrana, der tags darauf den Wettbewerb im Slane Castle gewinnen sollte, ist allerdings auch Maddison von geradezu ängstlichem Charakter. Pastrana ist 23 Jahre alt, diese Zahl entspricht ziemlich genau der Anzahl der Knochenbrüche, die er in seiner Motorsportkarriere bislang erlitt. Der Tag, an dem Pastrana zum Superstar des Actionssports und zu einem amerikanischen Jugendidol aufstieg, lässt sich genau datieren. Es war der 4. August vergangenen Jahres, als er bei den X-Games im Staples Center von Los Angeles vor 22 000 Zuschauern mit seiner Maschine über eine Rampe schoss und in mehr als zehn Meter Höhe einen double backflip, einen doppelten Rückwärtssalto hinlegte – eine Weltpremiere.

 


      Es gibt seither zwei legendäre, nicht für möglich gehaltene Leistungen im Actionsport: den „900“, eine zweieinhalbfache Drehung, die dem Skateboarder Tony Hawk 1999, ebenfalls bei den X-Games, in der Halfpipe gelang – und eben Pastranas double backflip mit der Motocrossmaschine. Pastrana ist seit jenem 4. August nicht nur eine amerikanische Actionsportlegende, sondern auch ein reicher Mann.

   Kurz nach seinem spektakulären Auftritt in Los Angeles erkärte Pastrana seine FMX-Karriere für beendet, um sich auf den Rallyesport zu konzentrieren. Sein außergewöhnliches fahrerisches Talent bewies er auch auf vier Rädern, am Ende der Saison 2006 stand er mit seinem Subaru als Sieger der Rallye America Championships fest – als jüngster Fahrer in der Geschichte dieser Meisterschaft. Dass er in Irland schon wieder sein Comeback auf der Crossmaschine gab, verwunderte nicht, seinen Rücktritt hatte ohnehin niemand ernst genommen.

 


Pastrana als Rallyepilot

 

   Zum Slane Castle kam Pastrana vom Rallye-America-Rennen in Washington eingeflogen, wo er seinen Suburu mit einem Vorwärtssalto direkt in einen Baum katapultiert hatte. Auch auf vier Rädern gilt er als Spezialist für spektakuläre Unfälle. Ein Lebensmüder? „Ich mache das nicht, weil ich jeden Tag versuchen wollte, mich umzubringen“, sagt Pastrana, „Ich mache das, weil es mir Spaß macht.

 

   Nicht jeder FMX-Profi betreibt seinen Sport mit der selbstzerstörerischen Haltung von Pastrana oder Maddison. Der 29 Jahre alte Berliner Sebastian „Busty“ Wolter zählt sich nicht zu jenen, die „bekloppt genug sind, für den Sieg alles zu riskieren“. Wolter weiß zwar auch, „dass Verletzungen dazugehören“, doch versucht er, das Risiko in Grenzen zu halten. „Auch ein toller Wettkampf ist nicht alles auf der Welt“, sagt er. „Ich bin fast dreißig und muss mir keinen Namen mehr machen, muss nicht mehr alles riskieren.“ Trotzdem, sagt er, „ist die Gefahr natürlich da, dass du im Rollstuhl landest.“

   Die Dimensionen der weltweit größten FMX-Veranstaltungen sind gewaltig. Zum ersten Stopp der X-Fighters-Serie in der Stierkampfarena von Mexico City waren im März 35.000 Zuschauer gekommen, im Slane Castle in Irland waren es fast 40.000. 17.000 Tonnen Erde waren für die Veranstaltung im historischen Schlosspark auf der Fläche von zwei Fußballfeldern zu sieben gigantischen Landehügeln aufgeschüttet worden, die Fahrer katapultieren sich über vier Meter hohe Absprungrampen, der weiteste Sprung maß rund dreißig Meter, bei den X-Games geht es bis zu 38 Meter weit. Die Absprunggeschwindigkeit an der Rampe beträgt bei einem 30-Meter-Sprung etwa 70 Kilometer pro Stunde. Dabei kommt es nicht auf die durchschnittliche Anfahrtgeschwindigkeit an, sondern auf die Beschleunigung auf der Rampe. „Flitzebogeneffekt“ nennt Wolter das.

   Das Spiel mit der Gefahr ist nur ein Aspekt des FMX. Wer sie einzuschätzen weiß, davon ist Wolter überzeugt, kann sie in akzeptablem Rahmen halten. „Ja, es sieht verrückt aus, was wir machen“, sagt er. „Aber die Leute sehen das Training nicht, sehen nicht, wie wir uns herantasten an die großen Sprünge. So wie sie bei Seiltänzern im Zirkus nicht sehen, wie die das Seil erst einmal einen halben Meter über dem Boden spannen.“

   Schon Wolters Vater ist Motocrossrennen gefahren, der Sohn bekam mit zehn Jahren seine erste Maschine. Er wurde schnell und schneller, fuhr erste Rennen, diente sich hoch, Nach dem Abitur wollte er Motocross-Profi werden. „Ich habe mir zwei Jahre Zeit gegeben und alles auf die Karte Motocross gesetzt, doch selbst, als ich auf der internationalen Bühne gefahren bin, habe ich immer noch draufgezahlt.“ Motocrossfahren ist ein Hobby, Geld verdienen kann man damit nicht.

   Dann kam die Freestylevariante auf. „FMX war die zweite Chance, meinen Traum zu verwirklichen“, sagt Wolter. Er arbeitete als Autor für ein Motocross-Fachmagazin, legte Geld zur Seite, „um auch einmal mein Essen bezahlen zu können, wenn ich verletzt sein sollte“. Als Vorteil sah er an, „dass ich ein bisschen was im Kopf habe, was man in diesem Sport nicht von allen behaupten kann.“ 1999 fand der erste FMX-Wettkampf in Deutschland statt, Wolter gewann ihn.

   Freestyle-Motocross, sagt der Berliner, sei kein Sport, sondern eine Lebenseinstellung. „Ich fahre nicht Freestyle-Motocross, ich bin Freestyle-Motocrosser, das ist ein Unterschied.“ Kleidung, Musik, Auftreten – die FMXler sehen sich als Mitglied einer weltweiten sportiven Jugendbewegung. FMX, so ihr Credo, sei die kreative Seite des Motorradsports. „Manche spielen ein Instrument oder sie malen ein Bild“, sagt Wolter. „Ich entfalte mich auf meiner Maschine. Der Spirit, der dahintersteckt, ist der gleiche wie bei den Skateboardfahrern, den Snowboardern, den Surfern. FMX ist ein Action- und Lifestylesport, der zufällig mit dem Motorrad unterwegs ist.“ Eine Straßenzulassung brauchen sie dafür nicht. Der Schweizer Topfahrer Mat Rebeaud zum Beispiel, Zweiter bei den X-Games im vergangenen Jahr, besitzt nicht einmal einen Motorradführerschein. „Mit einem Motorrad auf einer Straße zu fahren ist uninteressant“, findet er.

    Foto Red Bull

So uninteressant wie der internationale Motorradverband FIM. „Nachdem er uns jahrelang Steine in den Weg geschmissen hat“, sagt Wolter, „hat der Verband irgendwann gemerkt, dass FMX Stadien füllt, dass Geld zu verdienen ist, und jetzt will er auch seinen Happen davon abhaben.“ Die Bedeutung des Verbandes ist jedoch – wie in den meisten Lifestylesportarten – begrenzt, für das FMX gilt das besonders, weil im Mekka dieses Sports, den Vereinigten Staaten, sich niemand für die FIM interessiert. „Den Amis ist völlig egal, was der Weltverband will“, sagt Wolter. Die bedeutendsten amerikanischen FMX-Veranstaltungen wie die X-Games oder die Dew-Actionssports-Tour oder auch die europäisch-amerikanische Topserie Red Bull X-Fighters sind verbandsunabhängig.

   Wie die besten Snowboarder, die besten Surfer, so ist auch Wolter ständig unterwegs. Oft mit seinem Wohnmobil, in dem er schläft und das eine Garage für sein Motorrad hat. „Ich habe meine Liebe zum Beruf gemacht“, sagt er. „Ich kann die ganze Zeit spielen.“ Sein Traum: Wie die Snowboardstars von Videodrehs zu leben.

   So weit sind die Freestyle-Motocrosser jedoch noch nicht. Wolter verdient sein Geld, keine 100.000 Euro im Jahr, je zu einem Drittel mit Wettkämpfen, Shows und über Sponsoren. Bei den großen Wettkämpfen in Europa bekommt er Antrittsgeld, wenn er in die Vereinigten Staaten reist, um sich bei der Dew-Tour mit den Besten zu messen, ist er nur einer unter vielen, dann muss er versuchen, den Trip über Preisgelder zu finanzieren. „Wenn das einmal nicht klappt“, sagt er, „sehe ich das als notwendige Investition in mein Geschäft an.“ Sein Geschäft, das sind gut bezahlte Auftritte bei Footballspielen, Musikfestivals, Motorradmessen. Zu diesen Anlässen reist Wolter mit mobiler Sprungrampe und der von ihm gegründeten Berliner „Upforce-Crew“.

   Sein Sportstudium hat Wolter zugunsten der Profikarriere abgebrochen, er ist nicht nur Sportler, sondern auch Manager in eigener Sache. „Ich habe mir ein System aufgebaut“, sagt er. „Ich bin mein eigener Herr, ich kümmere mich um alles, um das Sportliche, um Sponsoren, um Website und Newsletter, ich bin mein eigener Trainer.“ Geübt wird, wenn es die Zeit erlaubt, auf der Motocross-Rennstrecke in Schenkenhorst bei Potsdam, dort ist seit Ende vergangenen Jahres ein Freestylepark mit Rampen aufgeschüttet.

   Welche Talente braucht ein FMXler? Einen Mix aus Erfahrung und Fahrtechnik, dazu Koordination und Balancegefühl. „Und ein Angsthase sollte man auch nicht sein“, sagt Wolter, „wobei ich nicht überdurchschnittlich mutig bin. Aber man muss sich überwinden können, denn beim ersten Mal fühlt es sich selten gut an, wenn man einen Sprung probiert.“


März 2007 

Veröffentlicht in Portraits

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