Maria Riesch und Felix Neureuther - "Wir sind nicht die großen Helden"

Veröffentlicht auf von Michael Eder

"Wir sind nicht die großen Helden"

 

    Die Ski-Solisten Maria Riesch und Felix Neureuther über fehlende Abfahrer, gerissene Kreuzbänder und die Last der Erwartungen.

 

    Wie gefällt Ihnen Biathlon?

 

    MARIA RIESCH: Gut. Ich schaue es gern an. Es ist um einiges spannender als nur Langlauf. Die Deutschen haben Erfolg, und es ist immer noch eine große Boom-Sportart.

 

    FELIX NEUREUTHER: Biathlon ist eine Sportart, die relativ einfach zu verstehen ist. Wer alles abräumt und am ehesten im Ziel ist, hat gewonnen. Deshalb ist es auch bei Nicht-Wintersportlern populär.

 

    Können Sie verstehen, dass Biathlon den alpinen Skisport
hierzulande in den Hintergrund gedrängt hat?

 

    NEUREUTHER: Die Deutschen sind im Biathlon einfach die Weltbesten. Wenn man schaut, was in Österreich Skisport bedeutet oder in der Schweiz - da spielt Biathlon keine große Rolle.

 

    RIESCH: Bei uns ist im Biathlon die Bandbreite extrem groß, bei den Damen, bei den Herren, es gibt so viele, die permanent vorn dabei sind. Dann gibt es noch Magdalena Neuner als Shootingstar - das ist halt alles, was eine Sportart braucht, um Erfolg im eigenen Land zu haben.

 

    NEUREUTHER: Wenn bei uns der Erfolg mal wieder da ist, wird vieles ganz von selbst kommen, dann wollen die Leute auch wieder Skifahren sehen. Erst war Skispringen, dann ist Biathlon - der Biathlon-Boom wird sicherlich noch anhalten -, aber das ändert sich auch alles mit der Zeit und mit den Erfolgen.

 

    RIESCH: Man hat beim Skispringen gesehen, wie schnell so ein Boom vorbei sein kann.

 

    NEUREUTHER: Das Interesse wird wiederkommen, viele sehnen sich danach. Der Skisport hat großes Potential, auch weil ein sehr großer Markt dahintersteht.

 

    Ihnen beiden ist die Rolle zugedacht, den alpinen Skisport
in Deutschland wieder nach vorn zu führen.
Es ruht eine Menge Hoffnung auf Ihren Schultern
.

 

    RIESCH: Der Felix hat es bei den Herren besonders schwer, weil er der Einzige ist. Er hat kein Team hinter sich. Wenn er mal versagt, was jedem passiert, dann stehen nicht noch fünf andere da und halten die deutsche Flagge hoch. Bei den Damen ist es nicht ganz so dramatisch, aber wir beide haben es schon ein bissel schwer. Da reicht auch eine gute Saison nicht, um das Interesse gleich wieder in großem Maß zu wecken, das muss jetzt über mehrere Jahre gut laufen, dann wird es nach und nach wieder besser.

 

    NEUREUTHER: Ich habe schon ein Team um mich, aber ich bin halt der Einzige, der in der Weltklasse angekommen ist. Ich mache mir letztlich aber keine großen Gedanken drüber.

 

    RIESCH: Man fährt eh für sich selber.

 

    Ist es ein Nachteil, wenn man keine Konkurrenz im eigenen Team hat?
Leidet darunter die Qualität des Trainings?

 

    NEUREUTHER: Das kann auch ein Vorteil sein, weil man unabhängig ist von einer Mannschaft und auch bei anderen Nationen mittrainieren kann. Man sucht sich immer zusammen, mit Österreichern, Finnen, Amerikanern, Schweden. Alle profitieren davon, man hat schon im Training den internationalen Vergleich. Man pusht sich gegenseitig, jeder will jedem zeigen, dass er verdammt schnell ist.

 

    Wer hat mehr Druck? Felix, der auf seinen ersten Weltcupsieg wartet,
oder Maria, von der alle hoffen, dass sie den Gesamt-Weltcup gewinnt?

 

    NEUREUTHER: Schwer zu sagen. Bei mir wird nur noch über den ersten Weltcup-Sieg geredet. Aber den kann man nicht erzwingen. Der kommt einfach. Ich hätte letzte Saison schon einige Rennen gewinnen können, ich war da nur noch zu blöd einfach.

 

    RIESCH: Ich empfinde die Erwartungen nicht so sehr als Belastung. Von jedem, der Rennen fährt, wird eine Leistung erwartet. Bei mir interessiert das vielleicht mehr Leute, aber das ist der einzige Unterschied.

 

    Warum schaffen es die Deutschen nicht,
einen Abfahrer von Format herauszubringen?

 

    RIESCH: Vor vier, fünf Jahren hat es ein richtiges Abfahrtsteam gegeben. Ich glaube, wir hatten mal acht oder neun Startplätze. Irgendwie ist dann alles weggebröselt. Martina Ertl, Hilde Gerg, Petra Haltmayr haben ihre Karrieren beendet. Und jetzt sind wir nur noch zu zweit. Woran das liegt? Ein wichtiger Grund ist, dass viele von denen, die es draufhätten, sich in jungen Jahren schon schlimm verletzen. Wenn sie nach schweren Verletzungen zurückkommen, haben sie oft zu großen Respekt und vielleicht auch Angst, sich wieder zu verletzen. Dann gerät die Abfahrt aus den Augen.

 

    NEUREUTHER: Das hört sich ein bisschen nach Ausrede an, aber das Verletzungspech, das die deutschen Herren hatten, war schon enorm, speziell in der Abfahrt. Florian Eckert hätte Seriensieger werden können, er war Dritter bei der WM 2001 in St. Anton, und er war damals erst Anfang 20. Es war unglaublich, wie gut er in diesem Alter in der Abfahrt schon war. Er wäre ein Zugpferd für die Jugend gewesen, aber dann verletzte er sich schwer. Auch Max Rauffer war extrem oft verletzt, Stefan Stankalla, wenn ich daran denke, wie es ihn in den Kamelbuckeln in Gröden geschmissen hat, da wird's mir jetzt noch schlecht. Keppler Kreuzband, Stehle Kreuzband, Strodl Kreuzband. Wie viele Kreuzbänder da schon gerissen sind! Bei den Österreichern fällt es nicht so auf, wenn sich einer verletzt, das sind halt so viele. Wenn sich in Deutschland zwei, drei verletzen, dann ist gleich die komplette Mannschaft weg.

 

    Es heißt, Sie seien ein richtiger Hasardeur gewesen von klein auf.
Ihr Vater Christian sagt, Sie seien fast jede Woche im Krankenhaus gewesen,
weil Sie zu mutig waren.

 

    NEUREUTHER: Na ja, das stimmt schon.

 

    Also sind Sie im Prinzip der geborene Abfahrer.

 

    NEUREUTHER: Als Kind wollte ich immer Abfahrer werden. Aber wenn man mal schaut, was für Typen die Slalomfahrer sind und was für Typen die Abfahrer, dann läuft es drauf raus, dass die Slalomfahrer die bunteren Typen sind.

 

    RIESCH: Die Abfahrer sind eher die ruhigeren Typen . . .

 

    NEUREUTHER: . . . die dann irgendwann den Schädel abschalten. Das sind die knallharten Jungs. Die in sich Gekehrten. Die riskieren ihr Leben, die müssen sich hundertprozentig konzentrieren. Slalomfahrer sind eher die wilden Vögel.

 

    Wie schwer war es für Sie, Frau Riesch, nach zwei Kreuzbandrissen
2005 wieder in die Weltspitze zurückzukommen?
Hatten Sie Angst, es nicht mehr zu schaffen?

 

    RIESCH: Ja. Nach dem ersten Kreuzbandriss ging es noch. Da kam ich bald zurück, hatte auch wieder schnell Selbstvertrauen - und keine Angst. Aber weil der zweite Kreuzbandriss so schnell danach kam, gleich zu Beginn der folgenden Saison, und weil die Heilung nicht unkompliziert verlief, war das schon sehr schwierig, da war es erst mal vorbei mit dem Mut. Ich hatte Angst, dass ich nicht zurückkomme. Oder dass ich nicht mehr so gut würde, wie ich war. Heute gehe ich deutlich weniger Risiko ein als früher. Ich muss im Training, wenn es nicht passt oder wenn ich müde bin, nicht mehr immer 100 Prozent geben.

 

    Kennen Sie das, Angst um die Karriere, Herr Neureuther?

 

    NEUREUTHER: Ja, ich hatte 2004 eine Herzgeschichte, eine Entzündung, Symptome eines Herzinfarkts. Ein Kreuzbandriss ist eine krasse Verletzung, aber er lässt sich durch eine OP reparieren. Aber etwas am Herzen, das gibt einem schon zu denken. Ich habe damals gelernt, dass ich mit meinem Körper besser umgehen muss. Das war ein Schock damals, da macht man sich über vieles Gedanken. Ich habe sehr harte Medikamente bekommen. Eine Cortisonkur über drei Monate, bis mein Kopf total aufgeschwemmt war. Es hat lange gedauert, bis ich wieder gesund war.

 

    Sie sind 23, 24 Jahre alt, werden in den Medien herumgereicht,
fahren schnelle Autos, verdienen gut - fühlen Sie sich aus dem normalen
Leben Ihrer Generation herausgewachsen?

 

    NEUREUTHER: Überhaupt nicht. Ich habe viele Freunde, mit denen ich aufgewachsen bin, die mit mir Ski gefahren sind, Fußball gespielt haben, das sind enge Freunde, Freunde fürs Leben.

 

    RIESCH: Klar, es ist schon ein Unterschied: Andere in unserem Alter fahren keinen Porsche oder R8, aber das bedeutet nicht, dass wir dadurch menschlich auf einem anderen Level wären. Wir sind nicht die großen Helden, die Beziehung zu unseren Freunden ist ganz normal.

 

    Fahren Sie hin und wieder noch zum Spaß Ski?
Ganz ohne Rennausrüstung und Trainingsplan?

 

    RIESCH: Ich nicht. Weil ich so viele Disziplinen fahre, bleibt dafür kaum Zeit. Nach der Saison reicht es irgendwann. Ich bin im März so fertig, dass ich froh bin, die Ski mal auf die Seite stellen zu können.

 

    NEUREUTHER: Ich fahre auch zum Spaß. Das muss sein, unbedingt. Mit Kumpels oder auch mal mit der Familie.

 

    Wird viel übers Skifahren geredet daheim? Ihre Eltern -
Christian Neureuther und Rosi Mittermaier - stehen ja für geballte Kompetenz.

 

    NEUREUTHER: Mit meinem Vater rede ich viel drüber. Die Mutter fragt immer, wie war's, gut, alles klar, passt - das war's.

 

    Ihre Eltern sind bei den Rennen nach wie vor nicht dabei?

 

    NEUREUTHER: Nein, sie sind nie dabei. Ich finde es eigentlich schade, ganz ehrlich. Ich hätte sie schon ab und zu gerne bei Rennen dabei. Am Anfang war ich froh, dass sie nicht dabei waren, weil sich sonst die Medien zu sehr auf sie gestürzt hätten. Aber mittlerweile würde ich sie schon gerne sehen.


Oktober 2008

 

 

Veröffentlicht in Interviews

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