Wie ein kleiner Käfer - unser Lieblingssport
Kein Wort über Stürze an dieser Stelle, kein Wort über Doping, Worte nur über die Schönheit dieses wunderbaren Sports, des Rennradfahrens. Der Flaneur ist unser Vorbild, der Betrachter und Verwerter urbaner Energie und Bewegung, die ihn zu Gedanken, Bildern und Emotionen führt. Die Städte waren sein Revier, doch sie sind zu hässlich, zu hektisch, zu gleichförmig geworden. Gut, es gibt noch manches zu sehen in Douglas City und Schlecker Town, aber es gibt nichts mehr zu erleben, nichts mehr zu erfühlen. Wir Rennradler machen deshalb einen Bogen um die Städte. An ihnen interessiert uns die Ausfallstraße, die hinausführt in unser Terrain, die Landschaft mit ihren Wiesen, Wäldern, Steigungen, Abfahrten, Orten. Als Rouleurs, als Radler, die dahin gleiten, sind wir nicht an Durchschnittsgeschwindigkeiten interessiert, wohl aber an Kilometern und Höhenmetern. Die Natur rauscht vorbei, die Gedanken kommen zur Ruhe - das ist, was uns süchtig macht: die meditative Wirkung des gleichmäßigen Rollens. Es ist wie bei einer Bahnfahrt, die Landschaft fließt vorbei, wir sitzen im Waggon - und sind gleichzeitig die Lokomotive, Genuss und Anstrengung werden eins. Und als Zugabe: Wir riechen das Heu, wir fühlen die Kälte, die Wärme, wir schmecken die Luft. Aus eigener Kraft dem Himmel so nah.
Das Größte sind die Gipfel. Michael Klonovsky hat über den Tag, als er mit dem Rennrad den Galibier zum erstenmal erklomm, dies notiert: „Als ich mich die letzten 500 Höhenmeter zum Gipfel hinaufschraubte, an der Wand eines ausladenden, teilweise noch schneebedeckten Hochtales entlang, auf der einen Seite eine Felswand, auf der anderen den Abhang, hatte ich minutenlang Begeisterungstränen in den Augen. Wie ein kleiner Käfer krabbelte ich an der Bergflanke entlang.” Wie ein kleiner Käfer. Im Hochgebirge, dem Paradies der Radler, zeigen sich die Dimensionen. Niemals, sollte man meinen, könnten wir Käfer es schaffen, auf einen Giganten wie den Ventoux, den Aubisque, den Galibier hinaufzukrabbeln. Und doch schaffen wir es. Das sorgt nicht für Übermut. Nie haben wir auf dem Ventoux einen lärmenden Radler sehen, einen grölenden, einen übermütigen, einen lauthals triumphierenden. Das liegt nicht nur an der Erschöpfung. Auf dem Ventoux gibt es nur stille Radler, demütige kleine Käfer. Auch Läufer kennen dieses Gefühl der tiefen Zufriedenheit, doch hat beim Radeln die Bewegung mehr Fluss, der Wind mehr Kraft, das Erleben mehr Tiefe. Und wenn das Rad zu lange in der Ecke steht, dann gilt, was einst der große Rennfahrer Peter Winnen stellvertretend für alle Radsüchtigen seufzte: „Ich vermisse mein Rennrad, ich vermisse die Plackerei, ich vermisse Gegenwind, ich vermisse die Spannung der Muskeln, ich vermisse den Schweiß, der die Nasenflügel entlangrinnt, das magische Grummeln in der Magengegend.”